Berlin 1970 (R. Schnell)

Persönliche Anmerkungen von Roland Schnell

An so ein Plakat kann ich mich erinnern

Im Jahr 1970 waren für mich Berlin und die DDR ganz weit weg. Es gab zwar regelmäßig Plakate, die aufforderten ein “Päckchen nach drüben” zu schicken, aber wir hatten keine Verwandten in der “Ostzone”, wie es damals hiess.

Als Gymnasiast bereitete ich mich auf das Abitur vor und hatte angefangen Esperanto mit dem Kurs von Hermann Behrmann (Esperanto programita) zu lernen. Mit Schallplatten!

Mit den Dingen, die in dem Beitrag erwähnt werden, kam ich erst viel später in Kontakt. Während meines Studiums in Karlsruhe lernte ich Roland Hegen in der Pfalz kennen und und wir bemühten uns redlich eine westdeutsche Sektion von MEM aufzubauen. Er war kein Kommunist, sondern in einer freikirchlichen Gemeinde. Er war besonders fasziniert von Alfred Hermann Fried. Beim Deutschen Esperanto-Kongress in Paderborn war ich erstaunt über den antikommunistischen Hass, der mir entgegenschlug, als ich dazu Flugblätter verteilte. Ich war Kriegsdienstverweigerer und in der Friedenbewegung in Karlsruhe aktiv. Bisher hatte ich Esperanto für die Sprache des Friedens und der Verständigung gehalten.

Von den ganzen Querelen zwischen den Esperantisten der BRD und der DDR, etwa beim 10. “Internacia Seminario”  1966/67 in  Münster, wusste ich nichts. Esperanto war ganz offensichtlich in die Frontlinien des Kalten Krieges geraten und einige Esperantisten aus der BRD verfolgten beinhart die offizielle Linie der Ausgrenzung der DDR (Hallstein-Doktrin) auf allen Ebenen. Aber 1970 war auch das Jahr, in dem Bundeskanzler Willy Brandt im März in einem Sonderzug nach Erfurt zu Gesprächen mit der DDR-Spitze fuhr. Der Beginn der Entspannungspolitik, den wir alle nach den Jahren der Stagnation herbeisehnten.

Ende 1970 überlegte ich, ob ich der Einladung zum 14a IS Ulm mit dem Thema “La rolo de la specife mallonga filmo” folgen sollte, weil das nur 50 km von meiner Heimat war. Am Ende traute ich mich dann doch nicht als  18-jähriger Schüler hinzufahren, zumal damals der hohe Anspruch und der wissenschaftliche Charakter der Veranstaltung hervorgehoben wurde. Erst vier Jahre 1974/75 später als Student fühlte ich mich gefestigt genug zum IS nach Paderborn zu fahren.

Meine Scheu lag natürlich auch an der damaligen Informationspolitik von UEA und GEA, wo mehr der seriöse Anspruch als der Spassfaktor von Esperanto betont wurde.

Ich war als überzeugter Internationalist gleich beim Weltverband UEA eingetreten, weil ich das klein-klein der nationalen Verbände nicht der Sache angemessen hielt. Über die Existenz von SAT wurde ich nicht informiert. Das war noch viele Jahre ein Tabu-Thema. Erst Ende der 1970er Jahre durch Kontakte zu Naturfreunden (Manfred Führer in der Nähe von Frankfurt/Main) und zu Esperanto-Freunden im Elsass zeigte es sich, daß es durchaus auch Reste einer Arbeiter-Bewegung, mit Interesse an Frieden, Sozialismus und Umweltschutz gab. Themen, die mich damals umgetrieben haben. In Karlsruhe tat ich nach einigem Suchen den alten Arbeiter-Esperantisten Adolf Gültling auf und er erzählte mir viel von SAT. Er war, wie viele damals, aus Protest aus der Deutschen Esperanto-Bewegung ausgeschieden, als der formelle Anschluss an UEA beschlossen wurde und die gleichberechtigte Vielfalt der Strömungen beseitigt wurde. Einige Veteranen lebten noch in Karlsruhe und liessen sich in einer lokalen Gruppe reaktivieren. Das wurde von GEA/UEA nicht gerne gesehen und sabotiert.

Erst später stellte es sich heraus, das bei UEA auch sozialistische Länder Mitglied (Polen, Bulgarien) waren und es sogar eine Vereinbarung mit MEM zur Zusammenarbeit gab. Aber in dem Friedensbeweung (gegen Atomwaffen) der 1970er Jahre war die Esperanto-Bewegung weder zu sehen, noch zu hören.