Finnland Schule 1918

Gesuch um Einführung m Esperanto als Lehrfach in den Schulen.
Von Seiten der finnischen Esperantointeressenten ist ein von etwa 20 Professoren und Dozenten und
nahmhaften anderen Persönlichkeiten aus verschiedenen anderen Kreisen unterzeichnetes Gesuch bei dem finnischen Senate um Einführung der Esperantosprache in den Schulen Finnlands eingereicht worden.
Da die Frage einer internationalen Hilfssprache alle Völker berührt und das Gesuch recht interessante Gesichtspunkte eröffnet, dürfte mit dessen hier abgekürzter Wiedergabe auch den Lesern unseres Blattes gedient sein.
Wenn die Menschheit uni vor allem ihre grössten Denker schon seit Jahrhunderten die Notwendigkeit einer gemeinsamen Sprache zwischen den Völkern empfunden haben, so nimmt der Mangel einer derartigen Kulturvermittlung in der Jetztzeit nur immer zu und wird immer fühlbarer. Es ist freilich beklagenswert, dass die Kulturvölker nicht einheitliche (Masse, Geldenheiten, einheitliche Zeitrechung, eine gemeinsame Sprache einführen konnten. Und wenn ein jedes dieser Hilfsmittel durch Aufnahme in den internationalen Gebrauch der menschlichen Kultur zweifellos einen kräftigen Stoss geben würde, sowürde ganz sicher der grösste auf allen Gebieten des menschlichen Lebens durch die Einführung einer zweiten für alle gemeinsamen Sprache hervorgerufert werden. Eine internationale, von allen zu erlernende und anwendbare Sprache — besonders eine leicht erlernbare, genaue und aucdrucksfähige Sprache —würde der Menschheit einen im voraus unschätzbaren, wirtschaftlichen Nutzen bringen. Sie würde reichlich Mittel und Zeit auf dem Gebiete des Handel- und Geschäfsbetriebes, in dem internationalen Eisenbahn-, Schiffs-, Post-, Telegraphen- und Warenverkehr sparen. Aber wie gross auch die durch sie hervorgebrac’nten materiellen Vorteile sein würden, könnten sie keinen auch nur annähernden Vergleich mit dem durch die internationale Sprache verursachten geistigen Gewinne ziehen. Eine internationale Sprache würde einen gemeinsamen, ideellen Grund für die Kulturtätigkeit der Völker, welche ihrem Charakter und Wesen nach international ist, schaffen, sie würde den Völkern die Möglichkeit geben, einander zu verstehen, sie würde die höchsten Errungen-schaften von Wissenschaft und Kunst, welche bekannt und anerkannt, sich auch nicht in der Jetztzeit, in Ermanglung einer internationalen Sprache, damit begnügen, sich in die engen Grenzen einer Sprache einschlkssen zu lassen, zum Gemeingut Aller machen.
Wir haben nur vom Standpunkte der Menschheit gesprochen. Aber ganz besonders sind die Beschwerden der Vielsprachigkeit in einem kleinen Lande, einem solchen wie Finnland; für ganfc besonders wünschenswert ist eine internationale Sprache vom Standpunkte eines solchen Volkes zu halten, dessen Sprache sich so bedeutend von den Kultursprachen Europas unterscheidet, dass sie kaum dem Namen nach von dem Gemeingut der Kultursprachen, dem Kulturwortschatze, Nutzen ziehen kann. Sowohl auf kulturellem als diplomatischem Gebiete steht ein solches Volk immer an der Seite, so lange keine neutrale Hilfssprache in den internationalen Beziehungen in Gebrauch genommen ist.
Zum Glück hat auch ein kleines Volk die Möglichkeit, auf die Einführung einer internationalen Sprache in den allgemeinen Gebrauch kräftig einzuwirken. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Sprache irgend eines Kulturvolkes als internationale Sprache zu wählen wäre, denn dann wären die diplomatischen Beziehungen bestimmend, und es könnte keineswegs im voraus erraten werden, auf welche Sprache die Wald als internationale Sprache fiele.Hip idtztverflossfinea Jahre haben indessen klar an den Tag gelegt, dass keine nationale Sprache zur alleinigen Vermittlung der internationalen Gemeinschaft werden kann, dass dazu nur eine neutrale, künstliche Sprache taugt. Ebenso schwierig wäre die Frage, wenn es viele künstliche Sprachen gäbe, welche ungefähr unter den gleichen Voraussetzungen um die Stellung der internationalen Sprache wetteiferten. jetzt existiert jedoch nur eine vollkommen fertige künstliche Sprache, eine in der Praxis erprobte und als tauglich erwiesene Sprache, Esperanto, die bei der Wahl als internationale Sparche in Frage kommen kann. Esperanto ist das einzige, welches nach dieser Stellung streben kann, nicht allein wegen seines Baues und Wortschatzes, die als europäisch-international sehr wenig Veränderung ertragen könnten, ohne an ihrem internationalen Charakter zu verlieren, sondern auch, und vielleicht in erster Linie darum, dass Esperanto schon in sehr weite Kreise verbreitet ist, überall Annerkennung und sogar Bewunderung erweckt hat, dass Esperanto immer neue Gebiete so schnell und mit einer solchen Übermacht gewinnt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann es seinen endgültigen Sieg erreicht. Deshalb bietet sich auch einem gerade seine Selbständigkeit erhaltenen Volke eine besondere Gelegenheit, die endgültige Erreichung dieses Kultursieges zu beschleunigen. Wenn ein Staat Esperanto annimmt, so folgen die anderen gleich hinterher. Aber die alten Kulturstaaten haben keinerlei besondere Ursache, weshalb sie gerade jetzt diese Neuerung vornehmen sollten.
Dagegen muss ein eben geschaffener, selbständiger Staat in jedem Falle vielerlei Neuerungen in Angriff nehmen, und es erscheint daher ganz natürlich, dass unter ihnen auch auf die von uns vorgestellte und plädierte Neue-rung die Aufmerksamkeit gezogen wird.
Und so ist auch in der Tat in Polen sowie in der Ukraine der Regierung derselbe Antrag wie hier Vorliegender gemacht worden.
Vielleicht ist es am Platze zu erwähnen, dass auch in den grossen Kulturländern gerade jetzt besondere Beachtung der Esperantosprache geschenkt wird. Der sächsische Landtag hat eine Subventionssumme zur Gründung von Esperanto-Oberlehrerstellen für die Hochschulen Sachsens bewilligt und das von dem ersten Minister Englands eingesetzte Komitee, welches die Lage der modernen Sprachen in den Unterrichtsanstalten Englands zu untersuchen hat, äusserte sich über Esperanto besonders, indem es die Einsetzung eines extraert Komitees, welches die Frage einer künstlichen Sprache behandeln soll, vorschlägt.
Ebenso ist in verschiedenen Kantonen der Schweiz die Frage über Esperanto-Unterricht angeregt worden und in Brasilien dürfte schon zu den vorbereitenden Massnahmen, Esperanto in das Programm aller Schulen aufzunehmen (durch Ausbildung von Lehrern usw.) geschritten sein. Aus all dem geht hervor, dass sich die Zeit überall günstig für eine endgültige Lösung der internationalen Sprachschwierigkeit entwickelt hat, wodurch das entschlossene Zugreifen auch nur eines einzigen Staates die Hilfssprache binnen kurzem zur allgemeinen Anwendung bringen könnte.
Wie auch aus unserer Darstellung ‘hervorgeht, ist also die Lage des Esperanto schon jetzt eine derartige, dass es, wenn auch begrenzt und zuerst nur verhältnissmässig selten zum Vorteile seines Kenners fähig ist, als internationales Ausdrucks- und Wechselwirkungs- Mittel zu dienen, und die Lage des Esperanto befestigt sich immer mehr in dem Maasse, dass wir hoffen können, sehr schnell für dasselbe die Bedeutung eines dauernden und unersetzlichen Kulturfaktors zu erreichen.
Aber wir wollen auch dann, angenommen, dass alles dies reine Utopie wäre, dass irgendwelche unerwarteten Umstände die Errungenschaften dreißigjähri-ger Arbeit zu nichte machten, zeigen, dass es sichlohnt, den Esperanto-Unterricht in das Programm der Schulen aufzunehmen sei. st auf die Gefahr hin, dass unser Land das einzige in der Geschichte bliebe, welches ein derartiges Experiment unternommen hätte.
Wir meinen den Esperanto-Unterricht in rein erzieherischer Bedeutung. Dies ist bei den im Auslande gemachten Versuchen zunächst dadurch zum Ausdruck gekommen, dass das regelmässige und genaue Esperanto das logische Denkvermögen des Schülers erzieht, ihm quasi die Grundform der Sprachen gibt und dadurch das Verstehen der Muttersprache schärft und das Erlernen vieler fremder Sprachen erleichtert.
Da leicht erlernbar, ist Esperanto für den Schüler eine ausserordentlich ermtu gende und zum Studium anspornende Sprache: indem es schon nach einjährigem Studium die Möglichkeit einem Briefwechsel mit Ausländern gibt, erweckt es das Interesse an den Ver-
hältnissen. der Erdkunde und Geschichte fremder Länder. Weiter ist wahrgenommen worden, dass die Kinder in ihrem Eifer sich selbst den internationalen Sprachgedanken zu eigen machen, indem sie die Verbreitung desselben in ihrem Bekanntenkreise anstreben. Die durch den Esperanto-Unterricht hervorgebrachte geistige Zugabe ist also vielseitig und reichlich.
So im Auslande. Aber wir können hier nicht dieUmstände unbetont lassen, welche namentlich für die finnischen Kinder das Erlernen von Esperanto wertvoll machen. Der Finne würde natürlich nicht teilnahmsloser für den allgemeinen sprachlich erzieherischen Einfluss des Esperanto-Unterrichtes bleiben, als dessen anspornende Fähigkeit hinsichtlich aller Studien. Aber obendrein erhielte er zwei Kultursiege, die nicht ganz klein einzuschätzen sind Der kleinere von ihnen wäre vielleicht die Bedeutung des Umstandes, dass jeder Finne in seiner Jugend, wo die Zungenoch biegsam ist, zu unserer lautarmen Sprache eine (Menge fremde Laute hinzulernte, desto grösser wäre die Bedeutung des Umstandes, dass man mit Esperanto natürlich den allgemeinen Kulturwortschatz der
Kultursprachen, welcher sonst dem Finnen so fremdbleibt, erlernte.
Wenn wir das vorher Dargelegte zusammenfassen, sind wir also zu folgenden Resultaten gekommen:
Sowohl vom wirtschaftlichen, allgemeinkulturellen, erzieherischen, als vom nationalen Standpunkte ist es empfehlenswert, dass man möglichst schnell eine internationale Hilfssprache zu allgemeiner Anwendung erhält, als welche Esperanto der einzige taugliche Bewerber ist.
Unter Berücksichtigung des sicheren Platzes, den sich Esperanto bereits erworben hat, haben die kleinen Völker und namentlich unser Volk Grund, tatkräftig die Durchführung dieser Kulturerrungenschaft zu betreiben. Das beste Mittel dazu ist die Aufnahme des Esperanto in das Schul-Programm.
Wohl wissend, dass eine solche Neuerung nicht in Handumdrehen, in ihrem ganzen Umfange verwirklicht ist, schlagen wir vor, als Hauptziel das Lehren des Esperanto als erste fremde Sprache für alle, und als die einzige für viele setzend, folgende praktische Massnahmen sogleich zu treffen.
1. Ein staatliches Esperanto-Institut für Finnland nach dem Muster des Königlich Sächsischen Esperanto-Institutes zu gründen, mit der Aufgabe, in erster Linie denjenigen, welche Lehrer zu werden beabsichtigen, Esperanto-Unterricht zu erteilen sowie Vornahme von Esperantolehrer-Prüfungen nach besonderem Reglement, welches wir später der Verwaltung des Schulwesens zur Sanktion unterbreiten werden.
Für das Jahresbudget des Institutes schlagen wir, so lange die Erfahrung fehlt, in runden Zahlen Mark 10 000.— vor.
Der Direktor des Institutes hätte die Pflicht, in erster Linie für diejenigen, welche Lehrer zu werden beabsichtigen, je nach Bedarf, aber wenigstens doch vier Wochenstunden, Esperantolehr- und Lesekurse ins Werk zu setzen. Auf diese Weise könnte man mit gewissen Vorkenntnissen ausgerüstete Studenten während eines oder zwei Semestern zu Esperantolehrern heranbilden. Der Direktor hätte die Pflicht, die zukünftigen Esperantolehrer zu prüfen und ihnen Befähigungszeugnisse zu erteilen, wobei er sich, wie auch in der Lehrtätigkeit, im Bedarfsfälle auf befugte Hilfe stützen kann. Die für Honorar usw. nötigen Mehreinnahmen könnte man durch Kursus- und Prüfungsgelder einbringen, wodurch die geringe Subventionssumme als hinreichend taxiert wedren dürfte.
Weiter wäre der Direktor verpflichtet, effektive Aufklärungsarbeit zu üben, um den Gedanken der internationalen Sprache und Esperanto noch mehr als früher in das Bewusstsein der Gebildeten sowie des ganzen Volkes zu bringen, als Mittel Zeitung- und Zeitschriften-Literatur sowie mündliche Vorträge anwendend.
2. Den Schulen wäre das Recht zu erteilen, Esperanto als ausserordentliches, freiwilliges, durch Staatsmittel unterstütztes Fach in der vierten und fünften Klasse der Mittelschule z. B. zwei Wochenstunden in jeder Klasse zu lehren. Weiter sollte, um sich die erreichten Kenntnisse zu sichern, Esperantoliteratur und das Erteilen von Konversationsstunden z. B. in den nächsten zwei Klassen zugelassen werden, wozu eine Stunde in der Woche vollständig genügen würde.
3. Den Seminaren sollte ebenfalls das Recht erteilt werden, Esperanto-Unterricht ungefähr nach dem gleichen Schema zu organisieren.
4. Denjenigen Volksschullehrern, welche sich das Befähigungszeugnis als Esperantolehrer erworben haben, sollte auf jedesmal zu machenden Antrag das Recht bewilligt werden, Esperanto-Unterricht als ausserordentliches Fach erteilen zu dürfen, wofür sie besonderes Honorar erheben dürften, namentlich in Stadtbezirken und auf zweisprachigen Gebieten.
5. Unter Berücksichtigung des ausserordentlichen Interesses, welches die Blinden aller Lande für das Esperanto-Studium ergriffen hat, ebenso wie auch dersehr bedeutenden Esperanto-Literatur der Blinden, sollte Esperanto-Unterricht, welcher bis auf weiteres nur auf privatem Wege in der Blindenschule zu Helsingfors arrangiert ist, als ordentliches Fach in allen Blindenschulen unseres Landes eingeführt werden-
Zu dessen Verwirklichung wäre eine besondere Subventionssumme, z. B. 200 M. zu bewilligen, um die im Besitze genannter Schule und durch Privatmittel beschafften Stereotypplatten der Esperanto-Wörter- und Lehrbücher in genügendem Maasse zu kopieren.
Hoffend, dass di« Unterrichtsexpedition der hier dargestellten grossen Kulturfrage die verdiente Aufmerksamkeit schenkt, verbleiben wir Zuversicht eine günstige Entscheidung erwartend
Seitens der finnischen Esperantisten:
(Unterschriften).
Nachrichtenblatt für das deutsche Militär in Finnland

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N:o 1. Helsingfors, Sonnabend den 27. April 1918