Weltanschauung

Von manchen wird Esperanto einfach als Sprache, mit der man alles machen kann, verstanden – andere sehen darin eine Weltanschauung.

Interna Ideo

Zamenhof sagte beim 8. Esperanto-Weltkongress 1912 in Krakau:

„Die innere Idee von Esperanto – die für den einzelnen Esperantisten in keiner Weise verpflichtend ist, die aber, wie Sie wissen, auf Esperanto-Kongressen herrscht und immer herrschen muss – ist: auf neutraler sprachlicher Basis die Mauern zwischen den Völkern niederzureißen und die Menschen daran zu gewöhnen, dass jeder von ihnen seinen Nächsten als Menschen und Bruder ansehen möge.“

Homaranismo

Eine von Zamenhof entwickelte Weltanschchauung, die eng mit der Ideologie von Esperanto verbunden ist. Einzelheiten in Wikipedia

2023 fragt Dr. Philipp Sonntag, dessen Job lebenslang Krisenbewältigung war:

  • Welche Hoffnungen (!) können von Esperanto ausgehen, um die akuten globalen Krisen wenigstens zu lindern? Bisher nur wenige. Esperanto wurde für Krisen vor 130 Jahren erfunden, wie könnte jetzt eine Erneuerung aussehen?

Dies fragt er in seinem (vorerst nur deutschen) Text:

UpdateEspHomaufDeu

wobei auf den ersten 22 Seiten seine Ideen zur Erneuerung stehen, dann auf Seite 23 stehen seine fünf Fragen an uns alle: Was tun?

Antworten aller Art sind erwünscht, am besten direkt an

Verkappte Religionen” Carl Christian BRY   (1924)

In dem 1924 erschienen  Buch ” das den Untertitel “Kritik des kollektiven Wahns” trägt, ist auch Esperanto aufgeführt. BRY analysiert hier kritisch die damals in großer Zahl entstehenden Heilslehren und Ausdrucksformen eines neuen Weltgefühls, die alle den Anspruch erhoben, die Lösung für die Misere bereitzuhalten. Obwohl Esperanto zu diesem Zeitpunkt alles andere als Neu war, stiess es in den “Goldenen Zwanziger Jahren” gerade in Deutschland auf ein bis dahin nicht erlebtes Interesse in der Öffentlichkeit.

BRY schreibt wenig konkretes zu Esperanto, aber seine Gedanken im Allgemeinen sind beachtenswert. Esperantisten reagieren oft pikiert, wenn man es wagt, sie mit BRY in Verbindung zu bringen. Das sollte zu denken geben.

  • Aber was berechtigt dazu, sie unter dem Namen verkappte Religionen zusammenzufassen? Ihnen allen, der Abstinenz wie der Astrologie, der Yoga wie dem Vegetarianismus, dem Esperanto wie der rhythmischen Gymnastik, dem Kultus des Übermenschen wie der Psycho-Analyse, dem Antialkoholismus wie der Brechung der Zinsknechtschaft, der Jugendbewegung wie dem Antisemitismus: ihnen allen wohnt eine Überzeugung inne, die mit der Überzeugung jeder Religion verwandt und doch ihr gerade entgegengesetzt ist. Religion sagt: Der letzte Sinn deines Daseins liegt jenseits deines Lebens, liegt über deinem Leben; ganz gleichgültig, wie sich die einzelne Religion auch immer Himmel und Jenseits ausmalen oder ob sie überhaupt auf solche Ausmalung als irreligiös und utilitarisch verzichten mag. Verkappte Religion hingegen sagt: Hinter deinem gewöhnlichen Leben und hinter der gewöhnlichen Welt liegt etwas bisher Verborgenes, etwas zwar seit langem Geahntes, aber für uns nie Verwirklichtes, eine noch nie realisierte Möglichkeit, der wir beikommen können und jetzt beikommen wollen und beizukommen gerade im Begriff sind. Der Anhänger der verkappten Religion glaubt an etwas hinter der Welt. Man kann ihn kurzweg den Hinterweltler nennen. Der Fromme glaubt an ein unvorstellbares Reich jenseits der Wolken, der Hinterweltler an eine neue Wirklichkeit hinter der Tapete. Während dem Frommen Diesseits und Jenseits streng getrennte Reiche sind, ist der Hinterweltler bis in den Kern seiner Seele davon durchdrungen, dass die gewöhnliche Welt und die Hinterwelt in den lebhaftesten wirklichen Beziehungen stehen und dass eines Tages dasjenige, was heute noch Hinterwelt ist, die Welt besiegt und durchdrungen haben wird. An diesem Siege zu arbeiten, die Hinterwelt zur Welt zu machen, ist der Inhalt seines Glaubens. Hier scheiden sich ganz scharf Religion und verkappte Religion. Religion sagt uns, dass wir alle noch nicht vollkommen sind, weil wir sündige und schwache Menschen sind. Verkappte Religion sagt, dass die Majorität von uns noch nicht vollkommen ist, weil wir in unserer Erkenntnis zurückgeblieben sind und uns sträuben, die hinter der gewöhnlichen Welt liegende Wahrheit zu erkennen und anzuerkennen. Damit sind auch zwei Einwände erledigt, an die schon vorher bei Erwähnung der Katakomben hingestreift worden war: dass nämlich viele der aufgezählten Gebiete doch ganz weitläufig und praktisch seien und mit Religion offenbar nichts zu tun hätten. Wolle man andrerseits die Liebe, die Kraft, den Eifer, die Ausschließlichkeit, mit der ein Mensch sich einer Sache widmet, schon als verkappte Religion ansehen, dann könne man von Fall zu Fall auch Schachspielen, Rosenzucht, Musik, weibliche Handarbeiten und manches andere als verkappte Religion ansehen. Und die verbreitetsten verkappten Religionen seien dann wahrscheinlich Fußball und Geldverdienen. Diese Einwände verfehlen ihr Ziel. Nicht nur einige verkappte Religionen, wie Abstinenz und Psycho-Analyse sind praktisch. Sie sind alle praktisch. Sie stammen alle von dieser Welt. Darin gerade unterscheiden sie sich von den Religionen. Auf der anderen Seite ist die Ausschließlichkeit und Intensität der Hingabe nicht entscheidend für die verkappten Religionen; wenn sie sich auch meist im Verein damit findet. Jemand mag nur an seinen freien Sonntagnachmittagen das Faustgeheimnis oder das Shakespearegeheimnis zu ergründen suchen; dennoch ist er ein Hinterweltler, weil er einen verborgenen Sinn, eine neue Wirklichkeit zu erlangen hofft. Auf der anderen Seite mag der große Schachspieler all seine Zeit, sein ganzes Denken und was er an Herz hat, dem Schachspiel opfern; mag im Schachbrett das Sinnbild der kampferfüllten Welt, im Schachkönig den wirklichen König, in den Bauern wirkliche Bauern sehen: er behauptet doch höchstens, Schach sei der Spiegel der Welt. Er wird nie behaupten, dass das Schach und die von ihm entdeckten neuen Gesetze und Geheimnisse des Brettes ihm einen neuen Sinn der ganzen Welt erschließen. Umgekehrt ist natürlich nicht jeder Esperantist, nicht jeder Psycho- Analytiker, nicht jeder Antialkoholiker ein Hinterweltler. Wenn jemand Esperanto als ein prachtvolles Hilfsmittel der Handelskorrespondenz ansieht, so hat er vielleicht Recht damit, jedenfalls lässt sich darüber streiten. Erst wenn sich nicht mehr mit ihm streiten lässt, erst wenn hinter dem Esperanto die Hoffnung auf eine neue Welt sich ergibt, betritt er das Gebiet der verkappten Religionen. Wenn ein Trupp Wandervögel, Kniee nackt und Laute um den Hals, durch die Lande zieht, so sind verschiedene Ansichten darüber möglich, ob diese Übung vom gesundheitlichen Standpunkt nützlich und erhebend oder vom ästhetischen und politischen mit Mängeln behaftet ist. Die verkappte Religion fängt erst an, wo der Streit aufhört: in dem Augenblick nämlich, wo der Trupp Wandervögel behauptet, er sei nicht auf Grund seiner gesunden Beine und Lungen, sondern auf Grund seiner Überzeugung von der Wichtigkeit des Jungseins etwas Besonderes und Welterlösendes. Erst die Hoffnung auf die Hinterwelt, die Bemühung, mit ihr die alte Welt zu erobern und zu durchdringen, macht das Wesen der verkappten Religion aus.
  • III Aus einem Punkte zu kurieren Alle verkappten Religionen sind Monomanie. In tausend Formen, die immer wieder wechseln, stellen sie einen Gedanken in die Mitte und suchen von ihm aus und durch ihn den Menschen zu formen. In der Mitte dieses zum Teil ganz ungeheuren Gedankengebäudes der verkappten Religionen steht immer eine Richtigkeit, meist selbst eine Wahrheit. Sie wird dadurch in ihrer Wirkung gestärkt, und um ihre Wirkung gebracht, dass sie alle anderen Gedanken einschluckt. Für jeden entflammten Anhänger jeder Religion gibt es nichts mehr, das mit seinem Glauben nicht irgendwie in Zusammenhang stünde. Das rundet ihm sein Weltbild und gerade der Umstand, dass sein Glaube alles umfasst, alles belebt, dass nichts mehr ihm gleichgültig ist, diese Wirkung seiner Religion beglückt ihn. Der wahrhaft religiös Ergriffene sieht die ganze Welt neu; sieht sie, als ob sie für ihn gemacht wäre. Auch der Hinterweltler sieht die ganze Welt neu. Aber ihm dienen alle Dinge nur zur Bestätigung seiner Monomanie. Dem Religiösen wird die Welt größer. Er findet noch im Entlegensten eine neue Seite seines Glaubens, die ihm bisher nicht aufgegangen war und in diesem neuen Licht leuchtet ihm auch das Fremdeste in strahlendem Glanz auf. Dem Hinterweltler schrumpft die Welt ein. Er findet in allem und jedem Ding nur noch die Bestätigung seiner eigenen Meinung. Das Ding selbst ergreift ihn nicht mehr. Er kann nicht mehr ergriffen werden; soweit ihn die Dinge noch angehen, ist es als Schlüssel der Hinterwelt. Man kann das beinahe experimentell nachweisen.