Perlen der Esperanto-Erzählkunst aus Berlin

Zum 61. Geburtstag von Lena Karpunina

Lena hat heute ihren festen Platz in der Geschichte der originalen Esperanto-Literatur.*

Lena Karpunina voĉlegas el sia libro en Kafejo mittendrin la 19-an de februaro 2001Foto: Fritz Wollenberg

Lena Karpunina liest im Café mittendrin aus ihrem Buch am 19. Februar 2001, Foto: Fritz Wollenberg

Ihr Geburtstag am 17. Februar ist ein guter Anlass, wieder einmal eine ihrer Erzählungen zu lesen. Für den Lena-Karpunina-Abend in der Reihe Montags am Viktoriapark wählte ich zwei Erzählungen aus: La mortorciklo (Das Motorrad) und  Mortpafitaj pomoj (Totgeschossene Äpfel). Beide Erzählungen sind in ihrem Buch La bato (Der Schlag) nachzulesen und geben einen tiefen Einblick in das Leben der Autorin.

Als sie 16 war, kaufte der Vater ihr ein Motorrad. Gewünscht hatte sie es sich nicht. Ihre erste Fahrt war ein Desaster. Beim Lesen biegt man sich vor Lachen, ist aber auch voller Mitleid und Betroffenheit. Ein Wechselbad der Gefühle! Die Schilderung einer Motorrad-Tour zu dem zauberhaften Gebirgssee Iskanderkul enthält wieder viel Situationskomik, ist aber auch eine Liebeserklärung der Autorin an ihre Heimat, das in einem Tal gelegene und malerisch von Bergen umgebene Duschanbe.

Schon im Alter von 3 Jahren zog sie mit den Eltern aus der russischen Region Kaluga in die Hauptstadt Tadschikistans. Hier wuchs sie auf, absolvierte das Tadschikische Staatliche Polytechnische Institut und arbeitete dann als Ingenieurin in der Autoindustrie.

1988 lernte sie Esperanto, besuchte die Zeltlager der Sowjetischen Esperanto-Jugendbewegung (SEJM) und andere Esperanto-Veranstaltungen. Schließlich unterrichtete sie selbst die Sprache.

Obwohl die Erzählung Mortpafitaj pomoj im Gegensatz zur ersten Erzählung nicht in der Ich-Form geschrieben ist, lässt der Inhalt auf Autobiografisches schließen. Lena schildert, wie eine Frau nach Jahren der Abwesenheit, Verwandte in Duschanbe besucht und nach Spuren des Bürgerkriegs (1992-1997) sucht. Lena selbst hatte  sich 1992 entschlossen, in Deutschland zu bleiben. Sie heiratete in Berlin den Esperantisten Gerd Bussing und unternahm Vortragsreisen, bei denen sie Tadschikistan vorstellte.

In Duschanbe erlebt die Protagonistin ihrer Erzählung nun ein scheinbar normales Leben, als hätte es den Krieg nicht gegeben, bis schließlich Onkel Alexej das Schweigen bricht und erzählt, wie die 16-jährige Tochter eines Kollegen mit ihren Freundinnen auf dem Markt Äpfel kaufte und ausgelassen scherzend mit den Äpfeln im Arm eine Straße überquerte, wo ein Bus plötzlich hielt und Uniformierte sie niederschossen. Es war wohl wegen der Kleidung der Mädchen, die verriet, dass sie aus dem Pamir kamen,

Lena wurde durch den Besuch einer Lesung aus Werken von Preisträgern der Belartaj Konkursoj (Wettstreit der Schönen Künste) während des Esperanto-Weltkongresses 1996 in Prag angeregt, selbst Erzählungen zu verfassen, von denen 18 bei den Belartaj Konkursoj mit Preisen oder ehrenden Erwähnungen bedacht wurden.

Ihre Werke erschienen in Esperanto-Zeitschriften und gesammelt in zwei Büchern 2001 und 2007 (La bato und Neokazinta amo). Sie unternahm Autorenreisen nach Großbritannien und Frankreich und zum Schriftstellertreffen nach Kroatien. Dabei las sie nicht nur aus ihren Werken. Sie sang auch und spielte Gitarre dazu. Seit 2001 war sie Mitglied der Esperantlingva Verkista Asocio (Verband der Esperantosprachigen Schriftsteller) ekde 2008 Akademio Literatura de Esperanto (Literarische Esperanto-Akademie). Mit Marjorie Boulton war sie freundschaftlich verbunden. Mit Spomenka Štimec kam sie ins Gespräch. 2010 wurde sie wegen ihrer literarischen Leistungen in die Esperanto-Akademie gewählt.

Lena war ein aktives Mitglied der Esperanto-Liga Berlin. Ihr früher Tod 2013 war ein herber Verlust für die Liga. Henryk Wenzel hat 2017 einen lesenswerten Essay über sie im Jubiläumsbuch des Esperanto-Verbands Berlin-Brandenburg veröffentlicht.**

*Carlo Minnaja kaj Giorgio Silfer: Historio de la Esperanta Literaturo. Kooperativo de Literatura Foiro, La Chaux-de-Fonds 2015 (Geschichte der Esperanto-Litaratur), S. 526–527.

*Josip Pleadin: Leksikono de verda plumo. Leksikono pri Esperantlingvaj verkistoj. Grafokom kunlabore kun Esperantlingva Verkista Asocio, Durdevac 2006, (Lexikon esperantosprachiger Schriftsteller), S. 121–122.

**Henryk Wenzel: Memore al Lena Karpunina (1963–2013). En Fritz Wollenberg (Red.): Esperanto. Lingvo kaj kulturo en Berlino kaj Brandenburgio 111 jaroj, Jubilea Libro 1903-2014, Esperanto-Asocio Berlino-Brandenburgio (Hrsg.), Mondial, Novjorko – Berlino 2017 (Kontribuoj en la germana kaj en Esperanto), ISBN 978-1-59569-340-2.

Fritz Wollenberg

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