Rede von Philipp Sonntag beim Zamenhof-Fest am 17.12.

Beseelt vom himmlischen Feuer,

möchten wir mitten im Chaos dieser Welt,

dennoch, ganz behutsam, versuchen:

heute lass uns feiern!

Festrede von Philipp Sonntag zur Weihnachtsfeier am 17. Dezember 2022

der Esperantisten in Berlin/Brandenburg

Ely·si·um

(in der griechischen Sage) Land der Seligen in der Unterwelt

DICHTERISCH: Zustand des vollkommenen Glücks

Wir lieben die 9. Symphonie von Beethoven. Sie entspricht den Hoffnungen von uns Esperantisten:

Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum. Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt, alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.

Wir sehen keinen sanften Flügel. Nur eine Stunde Autofahrt entfernt, da erfrieren Menschen in der Ukraine. Wir ahnen, die kommende Hitze im Klimawandel werden nur weniger Nachkommen der Ukrainer und Russen – und von uns – überleben können. Und der Wahnsinn jetzt: In Przewodow, in Polen wurden aus Kriegsversehen zwei Menschen durch Raketen getötet (NYT 12 deec. 2022, p. 6). Wir Deutschen schicken zwei teure Patriot-Raketenbatterien nach Polen. Die Polen akzeptieren erst – und lehnen dann ab, akzeptieren erneut. Es war aus Deutschland ein teures Geschenk, aber kein gelungeners Weihnachtsgeschenk. Könnte Polen mit den Patriot etwa Bialystok gegen Russland schützen? Keine Chance! Könnte es wegen Patriot eine Eskalation geben? Vielleicht.

Alles war in Bialystock noch weitaus friedlicher, als L. L: Zamenhof zusehen musste, wie sich Gruppen streiten. Er meinte, Esperanto als eine neue gemeinsame Sprache soll helfen, um einen Bewusstseinswandel zu bewirken.

Da hat er völlig recht! Und wir Esperantisten sind die tapferen Kämpfer, die auch über hundert Jahre später diese Option bereit stellen.

Aber nach wie vor ist die Welt fürchterlich zerstritten und bräuchte dringend so einen Impuls. Nach wie vor sind wir Esperantisten keine Marketing Experten. Also, Esperanto aufgreifen müssen andere. Wir sind Spezialisten, die mit Hilfe von L. L. Zamenhof erahnen, wie eine friedliche Welt aussehen kann.

Daher ahnen wir auch, wie man wunderbar feiern kann:

Freude schöner Götterfunken, wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum. Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt, alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.

Mit hohem Pathos beschreiben diese Worte das klassische Ideal einer Gesellschaft gleichberechtigter Menschen, die durch das Band der Freude und der Freundschaft verbunden sind.

Sind wir wenigstens in Berlin besser als diese scheinbar halbwilde Menschheit? Auch hier mussten wir jahrelang befürchten, dass sich zwei erfahrene Würdenträger jeden Moment einander trotzdem plötzlich gegenseitig schlagen würden. Auch sonst war die Kommunikation bisweilen mehr gegen-, mals füreinander, und mit einem Hauch Aufregung, sogar auch im Vorstand, nicht nur vor einigen Jahren.

Stattdessen möchte ich ein positives Beispiel nennen: den Stadtführer von Fritz Wollenberg! Der Text ist parallel in Esperanto und Deutsch. Ich selbst finde das ideal zum selbstständigen Lernen und es ist einje brauchbare Hilfe, nicht nur für Esperantolehrer, sondern auch für Esperantisten, die nach Berlin kommen.

Viele gute Anregungen kommen aus Berlin: Linguisten wie Wera Blanke, die in ihrem Buch „Esperanto – Terminologie und Terminologiearbeit“ (Seite 113) systematisch pragmatische Anforderungen formuliert hat, die es wert sind, in unserem Gedenken zitiert zu werden: nämlich, dass Esperanto genau diese Anforderungen optimal erfüllt: Einfachheit, klare Aussprache, feine Unterscheidung von Wortbedeutungen und vieles mehr. Aufgrund dieser Vorteile, denke ich, können wir Esperanto als gutes, starkes Werkzeug für die Zukunft empfehlen und feiern.

Deshalb sind hier wie weltweit verlässliche Ressourcen wichtig für Frieden und Fortschritt. Und ich freue mich sagen zu können, dass wir in Berlin Fortschritte machen. Und das feiern wir heute, und ich hoffe, es wird eine suggestive Wirkung auf uns selbst haben.

Jahrtausende lang konnten kleine und große Kinder ihren Märchenerzählern zuhören. Heutige Zeitungen sind kein Ersatz, denn sie berichten über lebenslange Belastungen. Was sie erinnern, kann Kinder kaum beruhigen. Da wird nämlich deutlich, wie Erwachsene seit langer Zeit den Kindern Kriege und andere Katastrophen zumuten.

Wir brauchen weniger Mars und mehr Venus. Allein schon das Wort „Schlachtfeld“ klingt nach Kannibalismus. Aber kannibalische Rezepte sind längst out (verpönt) und vegetarische, auch vegane Rezepte erwünscht.

Da hat ein grundlegender Bewusstseinswandel begonnen. Was wir haben ist eine umfassende, „emotional ergreifend“ neue Perspektive für eine machbare, lebenswerte Zukunft. Hierfür hat Zamenhof die spirituelle Vorgabe geschaffen:

Auszug aus der Deklaration zum Homaranismo (auf Wikipedia). Ich bin ein Mensch, und die ganze Menschheit betrachte ich als eine Familie; die Teilung der Menschheit in verschiedene einander feindliche Völker und ethnisch-religiöse Gemeinschaften betrachte ich als eines der größten Übel, das früher oder später verschwinden muss und dessen Verschwinden ich nach Kräften fördern muss.

II. Ich sehe in jedem Menschen nur den Menschen, und ich bewerte jeden Menschen nur gemäß seinem persönlichen Wert und seinen Handlungen. Jede Kränkung oder Bedrückung eines Menschen deswegen, dass er einem anderen Volk, einer anderen Sprache, einer anderen Religion oder sozialen Klasse als ich angehört, betrachte ich als Barbarei.

L. L. Zamenhof hat völlig recht, wenn er die Feindseligkeiten und Kriege der Menschheit als Barbarei bezeichnet, an der sich bis heute kaum etwas geändert hat. Die Wahrheit ist weltweit fast allen so klar, dass wir sagen können, dass ein Bewusstseinswandel unbedingt voranschreiten muss.

Lassen wir und von ihm beflügeln und genau das tun, worauf es ankommt, was wir aktiv gestalten. Ich sage Ihnen, was wir auf diesem verwunschenen Planeten brauchen: Das sind die “Vertrauenmsbildenden Maßnahmen”, um ein menschliches Miteinander aufzubauen! Und das heißt heute Marzipan, Weihnachtskuchen, Kekse, aber auch Vanillekipferl, Schokoladenherzen und Zimtstangen.

Ich wünsche uns allen endlose friedliche Feiertage!

Über Roland Schnell

Eo ekde 1969, aktiva ekde 1974.
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