Ethische Bewegungen

Der 1. Freitag im Monat ist bei der Esperanto-Gruppe im Haus am Mierendorffplatz in Charlottenburg für einen Vortrag in deutscher Sprache reserviert. An den anderen Freitagen wird die internationale Sprache Esperanto gelernt oder durch Reden geübt.

Am Freitag, den 3. Februar 2023 ging es um das Verhältnis von Esperanto zu Bewegungen, die eine Sprache nicht nur zum Vergnügen lernen, sondern damit einen „ethischen“ Anspruch verbinden. Markus Schwantje, der zur Kaiserzeit der Geschäftsfüher des Tierschutzvereins Charlottenburg war, verstand darunter neben den Tierschützern, die Gegner vor Tierversuchen, Vegetarier, Abstinenzler, Pazifisten und Anhänger der Lebensreform- und Naturheilbewegung.

Vieles vom dem, über das er in seiner „Ethischen Rundschau“ ansprach, kommt einem unter einem anderem Namen ziemlich zeitgemäß vor. Etwa der Anbau von naturbelassenem Gemüse als „Urban Gardening“, die Impkritik oder der Trend zu einer Naturgerechten Lebensweise. Im Heft 3 von 1913 informierte er seine Leser „Ueber das Esperanto“ und geht speziell auf die für seine Leserschaft relevanten „ethischen“ Bewegungen ein, die Kontaktadressen oder teilweise eigene Zeitschriften hatten.

Ein wichtiges Anliegen war ihm auch die „Bodenreform“ und er erwähnt, dass Ebenezer Howard, der geistige Vater der „Gartenstadt“-Bewegung schon beim 3. Esperanto-Kongress in Cambridge 1907 mehrere 100 Teilnehmer in seinem Projekt „Letchworth“ (nördlich von London) empfing und die Parallelen der Gartenstadt-Idee zu Esperanto erläuterte.Beim 10. Esperanto-Kongress 1913 in Krakau hielt er dazu einen Vortrag, der die russische Zeitschrift „Ondo de Esperedanto“ dazu veranlasste, selbst vor Ort nachzusehen, wie es mit dem Aufbau der neuen Siedlung vorangeht und inwieweit die noblen Ziele (preiswerter Wohnraum für Arbeiter, gesunde Umgebung, Selbst- und Nahversorgung, Kultur) erfüllt werden konnten. Ein vergleichbares Projekt, die Obstbausiedlung Eden in Oranienburg war in den „Ethischen Rundschau“ mit Anzeigen vertreten, wie auch die Anbieter von der damals typischen „Gesundheitskost“, etwa die irma .. Aus Charlottenburg. Es gab naturreine Obstsäfte, Marmelade ohne chemische Zusätze, Nussmus und leckeren Fleischersatz.

Schwantje kann es nicht lassen zu tadeln, dass zu sehr die gesundheitlichen Vorteile und die Ersparnis durch der vegetarische Ernährung in den Vordergrund gestellt wird und der ethische Aspekt, keine Tiere töten zu müssen, viel zu kurz kommt.

Regelmäßig kommt der „Naturarzt“ Wilhelm Winsch aus Berlin zu Wort, der nicht nur eine Leitfigur der Impfkritiker, sondern auch bei Esperanto aktiv war. Im Sommer bot er, was man heute als „Wellness-Urlaub“bezeichnen würde in Henkenhagen an der Ostsee (heute Ustronie-Morskie PL) im Erholungsheim „Anker“ an. Dafür warb er mit Anzeigen in internationalen Esperanto-Zeitschriften und stellte dort seine Methoden vor. Sein Buch über „Wärmetherapie“ erschien auch auf Esperanto und hatte wohlwollende Rezensionen.

Der Phantast Graf Zeppelin als Vorbild für Tierschützer

Es gibt eine bezeichnende Übereinstimmung bei der Bewertung des damals sehr populären Grafen Zeppelin mit seinem Luftschiff, das viele prinzipiell für unmöglich gehalten hatten. In seinem Beitrag „Esperanto und der Kaufmann“ erinnert sich der Berliner Ernst Kliemke daran, dass seine Lehrer das Fliegen „leichter als Luft“ als eine unlösbare Aufgabe, wie die Quadratur des Kreises bezeichnet hätten. Aber der als Narr verspottete habe über seine Spötter triumphiert und so werde auch Esperanto, das von vielen als unrealist, isch bezeichnet werde, am Ende den Sieg davon tragen. Die selbe Argumentation benutzt Schwantje im Bezug auf den Tierschutz, der mit vielen Widerständen zu kämpfen habe. Der Graf, der seit vielen Jahren Vorsitzender des Tierschutzvereins in Württemberg war, hattel 1913 die Teilnehmer eines Kongresses nach Friedrichshafen zu einem Bankett mit Besichtigung der Luftschiff-Werft eingeladen.

Kliemke und Schwantje kamen sich später näher, da Schwantje seine Ideen in den „Freyschaften“ verwirklicht sah, die sich aufgrund des Buches „Fürsten ohne Krone“ gründeten, das von Kliemke unter dem Pseudonym „Heinrich Nienkamp“ veröffentlicht worden war.

Eine 12-seitige Broschüre weiteren Hintergrundinformationen und Bildmaterial ist Freitags bei der Esperanto-Gruppe erhältlich.

Die Erfindung der Stromline in Charlottenburg im März

Der nächste öffentliche Vortrag, zu dem Gäste willkommen sind, findet am Freitag, den 3. März 2023 im Haus am Mierendorffplatz um 14 Uhr statt. Thema wird der Automobild-Konstrukteuer Oskar Bergmann aus der Kaiser-Friedrich-Strasse 35 sein. Er gilt als einer der ersten, die ein stromlinienförmige Karosserie vorgeschlagen haben. In seiner Schule, mit internationalem Anspruch, bildete er Konstrukteure aus. Dafür warb er in Esperanto-Zeitschriften beim Weltkongress 1913 in Krakau.

An allen anderen Freitagen darf man gerne lauschen, wie sich Esperanto anhört.

Weiter Informationen und Kontakt: Roland Schnell,

Über Roland Schnell

Eo ekde 1969, aktiva ekde 1974.
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