Ende Juli nahm eine kleine Gruppe von Verwandten und Freunden, unter ihnen Esperantisten, an der Beisetzung der Urne mit der Asche von Venjamin Rosenberg teil, der einige Tage zuvor nach einer unheilbaren Krankheit von uns gegangen war. Seinem Wunsche gemäß gab es keinerlei zeremoniellen Akt.
Mit Venjamin haben die Esperantisten einen herausragende Aktivisten verloren, und Lena und ich einen lieben Freund.
Während einer Radtour durch Europa besuchte Venjamin im Jahr 1990 zum ersten Mal Berlin. Er hat damals nicht einmal nach einer Übernachtungsmöglichkeit gefragt. Es war Sommer, und er wollte in einem Zelt schlafen. Ein typisches Zeichen seiner Bescheidenheit!
Viele Jahre später, und zwar im Jahr 2010, erschien er bei einem Treffen in der Danziger Straße und sagte, dass von nun an seine Frau und er Berliner seien.
Venjamin Rosenberg stammt aus der Stadt Orsk, die im Ural im Osten des Orenburger Gebiets gelegen ist. Er studierte, wurde Bauingenieur und heiratete eine Russin deutscher Abstammung. Anfang der 70-er Jahre zogen beide nach Omsk. Dort wurde er Esperantist, nach dem er die Sprache bei Romuald Sikorskij gelernt hatte. Mit der ihm eigenen Begeisterung leistete Venjamin einen wichtigen Beitrag zur Esperantobewegung der Stadt Omsk. Seine zweite Passion war das Radfahren. Er organisierte viele Radtouren. Einige von ihnen führten sogar über sehr große Entfernungen. Oft hatten diese Touren wichtige Veranstaltungen zum Ziel, zum Beispiel Festivale.
Diese Tradition setzte er in Berlin fort. Geschätzt und beliebt waren bei allen seine wertvollen kulturellen Beiträge zum Esperantoleben unserer Stadt. Gern rezitierte er auf vergnügliche Weise Gedichte, zum Beispiel bei Zamenhoffesten. Im Rahmen der Gedenkveranstaltung für Adolf Sproeck rezitierte er dessen humorvolle Dichtungen. Unvergessen ist seine Vorstellung des russischsprachigen Films „Casarosa”, in dem die Plansprachenfrage die Hauptrolle spielt.
Venjamin Rosenberg war auch selbst ein poetisches Talent. Einige Monate vor seinem Tod schrieb er ein langes Gedicht in russischer Sprache. Es trägt den Titel „Ballade von Brot und Kaffee mit Brötchen“. In diesem Gedicht reflektiert er in geistreicher Weise seinen Lebenspfad. Am Anfang stand eine Kindheit in ärmlichen Verhältnissen mit Mangel und Hunger. Von dort führte ihn das Leben schließlich zum westlichen Überfluss in der Umgebung seines neuen Zuhauses in Berlin-Moabit. In das Gewebe seiner Erlebnisse und Eindrücke flicht er Erinnerungen an die von den Nazis im Moabiter Gefängnis ermordeten Widerstandskämpfer ein.
Nicht ohne Stolz sagte er von sich: „Ich bin ein russischer Jude.“ Beim Anblick seiner imposanten Figur dachte ich einmal: „Hier kommt der Prophet Jeremia!“ Aber ein Prophet sein wollte er sicherlich nicht. Er war ein geistig reicher Mensch, der uns viel gegeben hat.
Gerd Bussing