Tradukenda!
Der bekannte Fernsehphilosoph Richard David Precht hat in seinem Buch “Anna, die Schule und der liebe Gott: Der Verrat des Bildungssystems an unseren Kindern” im Kapitel “Bildung für alle!” den Juristen Ernst Kliemke erwähnt, der 1923 ein Buch mit dem programmatischen Titel “Wohlstand für alle” mit dem Untertitel “Verschmelzung von Kapitalismus und Sozialismus” veröffentlich hat. Dieses Werk ist später anscheinend Ludwig Erhard in die Hände gefallen und inspirierte ihn zu dem Motto, das nun auf ewig mit seinem Namen verbunden ist.
Was Precht nicht weiss oder nicht für erwähnenswert erachtet hat ist die Tatsache, dass Kliemke ein bekannter und aktiver Esperantist war. Von 1925 bis zu seinem Tod 1929 sogar Vorsitzender des Deutschen Esperanto-Bundes.
Kliemke, der mit gutem Recht als eine schillernde Persönlichkeit bezeichnet werden darf, hat sich mit Beginn des Ersten Weltkriegs von der Juristerei abgewandt und mehr mit der Umgestaltung der Gesellschaft beschäftigt. Bei den Intellektuellen seiner Zeit fand sein Buch “Fürsten ohne Krone: Fast ein Roman” eine gewisse Beachtung. Sein Vorschlag, einen “Freybund” zu gründen, wurde verschiedentlich aufgegriffen. Auch in Esperanto-Zeitschriften, etwa im “Germana Esperantisto” wurden Übersetzungen aus seinen Büchern abgedruckt und wohlwollend kommentiert. Man rechnete es ihm hoch an, dass er sich in verschiedenen deutschen Zeitungen und Zeitschriften für Esperanto eingesetzt hat.
Auch am Kampf gegen Ido hat er sich beteiligt und eine Replik auf die abwertende Position von Fritz Mauthner veröffentlicht. Dieser hatte in seinem Wörterbuch der Philosophie. Zweiter Band – Kapitel 80 Böses zu Esperanto geschrieben.
Wie oft ist schwer zu ermitteln, wann und wie er zu Esperanto kam. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war er als Rechtsanwalt (Assesor) in Berlin tätig und zunächst Geschäftsführer einer Grundstücksgesellschaft in Charlottenburg. Danach fungierte er gleichzeitig als einer der Direktoren der “Ostafrikanischen Bank” und der “Ostafrikanischen Eisenbahngesellschaft”. Beide waren eigentlich nur für die deutsche Kolonie Ostafrika (heute Tansania) zuständig, hatten aber ihren Hauptsitz in Berlin und es ist anzunehmen, dass auch die Geschäftleitung hier ihre Arbeitsstätte hatte.
Allerdings ist für 1907 belegt, dass sich Ernst Kliemke als Direktor der Ostafrikanischen Eisenbahn einige Monate in Ostafrika aufgehalten hat. Es gab eine Zusammenkunft mit dem Staatsekretär Bernhard Dernburg vom Reichskolonialamt der sich nach seiner Ernennung selbst ein Bild von der Situation in den Kolonien machen wollte. In seiner Reisegruppen war neben Walther Rathenau auch ein Dutzend Journalisten, die ihren Blättern täglich telegrafisch Bericht erstatten. Einer dieser Journalisten war Adolf Zimmermann und dieser veröffentlichte später ein Buch über seine Erlebnisse. Darin hob der die klugen Worte von Ernst Kliemke bei einem Bankett in Morogoro hervor, mit denen er Staatssekretär Dernburg motiviert hätte, den Weiterbau der Zentralbahn von Daressalam über Morogoro hinaus bis zum Tanganjika-See zur Chefsache zu machen. Tatsächlich hat der Reichstag später die Mittel als Kredit an die Eisenbahngesellschaft bereitgestellt. Anfang 1914 erreichte das Gleis Kigoma am Tanganjikasee. Gerade noch rechtzeitig um ein Dampfschiff, das aus Papenburg in Einzelteile zerlegt geliefert worden war, zu Wasser zu lassen.
Daneben war Kliemke auch noch Geschäftsführer vom “Hotel Kaiserhof” in Daressalam, welches das erste Haus am Platze und mit allem Komfort ausgestattet war, den ein Mitteleuropäer erwartet. Neben fliessend Wasser warm und kalt in allen Zimmern gab es elektisches Licht. Dazu betrieb die Ostafrikanische Eisenbahngesellschaft ein Kraftwerk im Bahnhof und legte Kabel zu Interessenten entlang der Hauptstrasse von Daressalam.
Offensichtlich hatte Kliemke 1914 schon seinen Posten aufgegeben und betätigte sich als sozialreformerischer Schriftsteller. Er veröffentlichte einen Vorschlag für eine “Reichsaktiengesellschaft” mit dem Untertitel “Ein Vorschlag zur Organisation der Friedenswirtschaft im Kriege” und gründete dazu den Vita-Verlag mit Sitz in der Hardenbergstrasse in Charlottenburg (damals eine unabhängige Stadt).
Er pflegte Kontakte mit anderen Organisationen, deren Wirken heute ebenso wenig beachtet wird, wie das der Esperanto-Bewegung. Etwa dem “Bund für radikale Ethik” von Magnus Schwantje, der sich für Tierrechte und Vegetarismus einsetzte. Ebenso gab es Querverbindungen zu Pazifisten und einzelne Persönlichkeiten, wie Helene Stöcker erwähnten Kliemke in ihren Briefen. Allerdings trat er als Schriftsteller und Sozialreformer unter seinem Pseudonym Heinrich Nienkamp auf.
In der Mitte der 1920er Jahre kam es bei einer Esperanto-Veranstaltung zu einem Kontakt mit der Religion der Baha’i, wo Kliemke offensichtlich seine Weltanschauung wiederfand. Es gibt eine achtseitige Broschüre auf Esperanto von ihm: Bahaismo kaj politiko. La ŝtata idealo laŭ la instruoj de Baha’u’llaj. Wandsbek, Bahaa Esperanto-Eldonejo und seine Anwesenheit bei Versammlungen der Baha’i-Anhänger im Rahmen von Esperanto-Weltkongressen ist bezeugt.
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