Prof. Feierstein beim Vortrag mit bekanntem und weniger bekanntem Bildmaterial
Es kommt nicht oft vor – schon garnicht in Berlin – , dass ein hundertköpfiges akademisches Publikum einem Vortrag über Esperanto lauscht. Der Vortrag von Prof. Liliana Ruth Feierstein zum Thema “Esperanto: Über Sprache und Utopie” am 18. Januar 2017 an der Humboldt-Universität fand im Rahmen einer Ringvorlesung zur Berliner Kulturwissenschaft statt.
Prof. Feierstein konzentrierte sich auf die Genese des Esperanto und konnte zeigen, dass diese nur durch die Verankerung von Zamenhof im Judentum zu verstehen ist. Sie erläutere welche Bedeutung Sprache ganz allgemein im Denken der europäischen Juden hatte und verdeutlichte dies am Wirken von Zamenhof. Er hatte an einer Grammatik des Jiddischen gearbeitet, die lange Zeit vergessen und von der Sprachwissenschaft übersehen worden war. Aber er begann zu verstehen, dass Jiddisch nicht die gemeinsame Sprache der Juden sein konnte, die ihm als das natürliche Bindeglied einer Kultur ohne eigenen Staat erschien. Von der Idee des Zionismus mit der Gründung eines Judenstaates in Israel rückte er bald wieder ab.
Prof. Feierstein verwies auf die Situation der Juden gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die von Verfolgung und Unterdrückung im Osten und Antisemitismus in Mittel- und Westeuropa gekennzeichntet war, was sich auch auf die Positionierung von Esperanto auswirken sollte.
Das halbe Dutzend Esperanto-Veteranen im Hörsaal (Foto Carlos)
Das Sprachprojekt von Zamenhof wurde nach seiner Veröffentlichung 1887 von der Zielgruppe der Juden nicht mit der erhofften Begeisterung aufgenommen, dafür fanden sich Interessenten bei anderen Gruppen, die aus unterschiedlichen Motivationen ein Interesse an internationaler Verständigung und einer gemeinsamen Sprache hatten.
Von den rühringen Esperanto-Propagandisten in Frankreich liess sich Zamenhof überreden, sich in den Punkten zurückzuhalten, die einen Anlass für antisemitistische Ressentiments liefern konnten. Die Dreyfus-Affäre sass noch in den Knochen.
Wenn ich mich recht erinnere, war Gaston Moch (Pazifist und Esperantist) zusammen mit Dreyfus auf der Militärakademie. Es gibt zumindest einen Hinweis im Nachlass von Alfred Hermann Fried in Genf. Das schreibt auch Paul-Henri Bourrelier in seinem Buch “Gaston Moch, polytechnicien combattant de la paix.” Moch war der einzige, der sich für seinen Schulkameraden eingesetzt hat.Moch ist für Berlin auch deswegen von Bedeutung, weil er Fried dazu gebracht hat Esperanto zu lernen. Darauf hin hat er die erste Esperanto-Gruppe in Berlin gegründet – ein halbes Jahr von Borel. (R. Schnell)
Nun hatte Zamenhof gleich auf alle Rechte an der von ihm vorgeschlagenen Sprache verzichtet und im Sinne von Open Source die weitere Entwicklung in die Hände derer gelegt, die sie benutzten. Trotzdem versuchte er mit seinen Reden bei den Weltkongressen zu erreichen, dass seine idealistischen Ideen nicht in Vergessenheit gerieten. Durch die “interna ideo” des Esperanto sollte es eben mehr sein als ein Instrument, das für Kaufleuten und Technikern die Kommunikation erleichterte. In Analogie zur Brückensprache arbeitete Zamenhof relativ unbemerkt am Projekt einer verbindenden Religion, die er dann “Homaranismo” nannte.
Prof. Feierstein ging dann knapp auf die Geschichte von Esperanto nach dem Tod von Zamenhof im Jahr 1917 ein. Die breite Anwendung in der Arbeiterbewegung, wobei sie eine Anekdote zitierte, nach der Trotzkij vom grünen Stern des Esperanto auf den roten Stern der kommustischen Weltbewegung gekommen sei. Aber auch die Verbote unter Hitler und Stalin.
Das halbe Dutzend gestandener Esperanto-Sprecher im Auditorium gab zu, dass sogar ihnen der Vortrag neue Einsichten vermittelt hätte. Es wäre wünschenswert, dass die Forschungsergebnisse von Prof. Feierstein in weiteren Kreisen der Esperanto-Bewegung und der Interlinguistik bekannt würden.
Nach der Veranstaltung ging es noch auf ein Bier in die “Deponie” (Lu, Carlos, Roland, Peter, Peter)
Im Rahmen der Ringvorlesung zur Berliner Kulturwissenschaft gibt es am 18. Januar 2017 einen Vortrag von
Prof. Liliana Ruth Feierstein zum Thema
Esperanto: Über Sprache und Utopie
18 – 20 h / Hör-/Lehrsaal im Institutsgebäude – 208 Dorotheenstraße 26 (DOR 26)
Ecke Universitätsstrasse parallel zu Unter den Linden nähe Hauptgebäude
Die Ringvorlesung bietet allen Interessierten einen Einblick in die wichtigsten Positionen, Forschungsfelder und Methoden der Berliner Kulturwissenschaft. Sie eröffnet zugleich die Möglichkeit, sich intensiv mit ausgewählten Fragestellungen und Problemen der human-animal-studies, der border-studies, der Geschlechter-, Rassismus- und Intersektionalitätsforschung, der Kultur- und Wissensgeschichte, der Geschichte der Kulturtechniken und der Kulturtheorien, der transkulturellen Geschichte des Judentums sowie der kulturwissenschaftlichen Ästhetik auseinanderzusetzen.